2. Oktober 2008

Unernehmensziel: Dienst an der Gesellschaft

Liebe N.S.

Auf Ihre nachstehenden Fragen antworte ich gerne im Rahmen der "Tagesnotizen", da unser Austausch vielleicht auch andere Leser interessiert:

Wir behandeln in BWL die Ziele der Unternehmen. Ihre These dazu finde ich hochinteressant, nach welcher bei der Zielsetzung der Dienst an der Gesellschaft an erster Stelle stehen soll – und nicht die maximale Gewinnerzielung. Wenn das Wohl und der Dienst an der Gesellschaft im Mittelpunkt des Handelns stehen, sei Gewinnerzielung eine natürliche Begleiterscheinung.

Im Artikel wird erklärt, dass die heutige Wirtschaft immer aus einem Gefühl des Mangels oder aus einer Angst heraus funktioniere. Die Probleme würden meistens nur auf der Geldebene betrachtet und nicht auf der Sinnebene. Dort liege die Existenzberechtigung einer Firma.

Meine Fragen:
Sind Sie also der Auffassung, dass eine Firma nur dann existenzberechtigt ist, wenn deren Bestehen für die Gesellschaft einen Sinn ergibt? Ist dies nicht eine subjektive Frage, ob etwas sinnvoll ist? Können Sie mir ein Beispiel für eine nicht „existenzberechtigte“ Firma nennen?

Als Beispiel für diese These, sogar als „Paradebeispiel“, nennen Sie die Swiss. Ich habe allerdings Mühe, die Swiss damit in Verbindung zu sehen (meinen Sie damit die Swissair)?
Was hat die Firma Ihrer Meinung nach falsch gemacht?

Unternehmerische Begeisterung und Kompetenz machen die Einzigartigkeit eines Unernehmens aus. Dort, wo sich diese Einzigartigkeit mit dem Dienst an der Gesellschaft trifft, entsteht Sinn, wie ich ihn verstehe. Bewusst gelebter Unternehmenssinn zieht Menschen - Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Partner - an, die mit dem Unternehmen in Resonanz stehen. Deshalb verstehe ich einen über den Dienst am Kunden hinausreichenden Unternehmenssinn als Existenzgrundlage - spitzer gesagt: Existenzberechtigung.

Nach dem Zusammenbruch der Swissair ging es Wirtschaft und Politik unbedingt darum, eine Schweizerische Fluggesellschaft zu erhalten: Die Swiss wurde unter Einsatz von einigen hundert Millionen gegründet. Da die Sinnfrage nicht über diesen nebulösen Wunsch hinaus geklärt war, entwarf ein trendiger Designer das Bild einer exklusiven High-Quality-Airline, während sich gleichzeitig das Management bemühte, die Auslastung mit Billigangeboten zu erhöhen und wo immer möglich Kosten zu sparen. Die unterschiedliche Unternehmenskultur der verschmolzenen Ursprungsfirmen - Crossair und Swissair - sorgte für ständige, dem Qualitätsimage abträgliche Konflikte. Das Experiment einer selbständigen Swiss scheiterte, wohl weil die einfache Frage "Wozu braucht es uns?" nie hinreichend geklärt worden war. Übrigens: Am Beispiel der Billigfliegerei lässt sich auch zeigen, dass - bei Einbezug der ökologischen Perspektive - der Dienst am Kunden nicht unbedingt auch für die Gesellschaft zuträglich ist. Hier stellt sich die Frage nach der Existenzberechtigung dieses ganzen Geschäftsmodells.

Die Frage "Wofür steht unser Unternehmen?" stellte auch eine Bekannte, als sie in den späten neunziger Jahren in verantwortlicher Stellung in den Bereich Human Ressources einer Schweizer Grossbank eintrat. "Schtütz mache, dänk, oder?" war tatsächlich die Antwort, die sie von ihrem Vorgesetzten erhielt. Heute, nach dem Finanzkrach, ist in den Zeitungen zu lesen, dass ein Kippen des US Finanzsytems auch für unser Land katastrophal wäre, weil die Banken ihrer Aufgabe, die Wirtschaft - insbesondere im Investitions- und Baubereich - mit Liquidität zu versorgen, nicht mehr nachkommen könnten. Frage: Was haben Unternehmensziele wie Milliardengewinne oder der Aufstieg in der Rangliste der Grössten oder die Steigerung der Eigenkapitalrendite auf 25% und mehr mit einem auf das gesellschaftliche Wohl ausgerichteten Unternehmenssinn zu tun? Wie lange wird unsere Gesellschaft noch jene bewundern, die so viel wie möglich nehmen und möglichst wenig geben?