20. Juli 2008

Spiritualität in einer aufgeklärten Welt

In den letzten Tagen habe ich zwei Bücher gelesen, die mich besonders berührt haben und die ich deshalb hier empfehle. „Spiritualität in einer aufgeklärten Welt“ ist der Untertitel des zweiten: „Freud lesen in Goa“ von Sudhir Kakar, Psychoanalytiker und Schriftsteller in Goa, Indien.

Besonders interessiert haben mich die Kapitel „Empathie in der Psychoanalyse und in der spirituellen Heilung“ sowie „Religion und Psyche: Freud lesen in Goa“. Stellvertretend für den reichen Gehalt des schlanken Buches, hier ein Zitat aus dem Nachwort, was mir hoffentlich weder der Verlag noch der Autor verübeln wollen:

Um die Beziehung zwischen Geist und Psyche zusammenzufassen, muss ich nach einer Metapher greifen, die Körper, Geist und Psyche als zutiefst verwandte Einheiten versteht. Mit unscharfen, ineinander fließenden Grenzen. So stelle ich mir die Psyche als einen großen See vor. Die Wasser dieses Sees sind warm, aufgeheizt von den Energien der Sexualität, Aggression und vor allem vom Narzissmus, die von der ihn umgebenden Erde – dem Körper – in ihn hineinfließen und das Wasser in Unruhe halten. Kräuselnde Wellen können zu Wogen von beängstigender Größe werden. Am Grund des Sees fließt der kühle Strom des Geistes, seine Wasser werden genährt aus der unterirdischen Quelle der Verbindung – –der liebenden Verbindung – und sind aufgrund der unterschiedlichen Temperatur beider von den oberen Schichten getrennt. Spirituelle Adepten tauchen häufig und tief in diesen Strom ein, obwohl es vermutlich keinen unter ihnen gibt, der nicht auch in den flacheren Bereichen des Sees verweilt und die Freuden, Leiden und Umstände unserer gemeinsamen Menschlichkeit teilt.

Wir gewöhnlichen Sterblichen sind jedoch auch nicht ganz von diesem spirituellen Strom abgeschnitten. Aufgrund der Unruhe des Lebens drängt das kühle Wasser der unteren Schichten oft in einem kleinen Rinnsal, selten als Flut an die Oberfläche. Dies sind wahrnehmbare Augenblicke der Hochstimmung, die man in der Natur, in Begeisterung vor einem Kunstwerk oder in Momenten unaussprechlicher Vertrautheit erfährt, wenn zwei Körper sich nach der Liebe voneinander gelöst haben und Seite an Seite nebeneinander liegen, sich aber noch nicht wie zwei getrennte Wesen fühlen. Es gibt viele weitere solche Momente, kleinere Ereignisse, die sich unserer bewussten Wahrnehmung entziehen, da wir erwarten, dass das Spirituelle eher eine Ausnahme als die Regel im menschlichen Leben ist.

Noch nie habe ich mich einem „Freudianer“ so nahe gefühlt. Und ich freue mich auf den Kongress "Globalisierung und Identität" - Samstag 04. und Sonntag 05. Oktober in Berlin, wo wir jeweils am gleichen Tag unsere Vorträge und Workshops halten werden: "Globalisierung und Psyche" (Prof. Sudhir Kakar) und “Transreligiöse Spiritualität - Identitätsbildung jenseits religiöser Engführungen (Hans Jecklin).

Sudhir Kakar: Freud lesen in Goa. Verlag C.H. Beck. 2008

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