17. April 2008

Schattenspiele: In der Oper wie in der Welt

Aus einem Brief an Claus Helmut Drese*

(Anlässlich eines Besuches in seinem Haus im Blenio-Tal hatten wir uns, insbesondere im Zusammenhang mit den Judenvernichtungen im Deutschland des 2. Weltkriegs und dem gegenwärtigen israelisch-palästinensischen Konflikt, über die Wichtigkeit der Aufarbeitung kollektiver Prägungen unterhalten und sind dabei - wie zufällig - zur letzten Zürcher Zauberflöte gelandet, die wir beide spontan als Entfremdung von Mozarts Oper abgelehnt hatten.)

Gleich wie unsere Diskussion um die Verdrängung von historischen Demütigungen und Niederlagen auf kollektiver Ebene und die Manifestation dieser gemeinschaftlich verdrängten Komplexe im Weltgeschehen, hat mich auch das Gespräch über die letzte Zürcher Zauberflöte nicht losgelassen.

E-Dur – die Tonart von Sarastros Arie „In diesen heiligen Hallen“ – sei eine böse, von Mozart sonst kaum angewandte Tonart, sagt offenbar Nikolaus Harnoncourt. Er nimmt dies als Indiz, Mozart habe Sarastro nicht in der Rolle des weisen und guten Herrschers gesehen, als der er bis jetzt in der Rezeptionsgeschichte der Zauberflöte dargestellt wurde.

Heute, auf der Heimfahrt mit unserem reparierten Auto aus dem Tessin, setzten sich folgende Gedanken zusammen: Wenn wir – im Sinne der Psychologie des Unbewussten – in der Figur der Königin der Nacht Sarastros verdrängte weibliche Seite sehen und im Moor Monostatos seine dunkle, ungeliebte männliche Seite, die er zum Schluss beide aus seinen heiligen Hallen verbannt, dann ist Sarastros Reich in der Tat eine hohle, nur scheinbar gute Welt, und er selbst ein, seine Schattenseiten negierender Gutmensch. So gesehen sind auch die beiden Priester, die Tamino und Papageno auf ihrem Läuterungsweg führen, Vertreter einer hohlen, die animalischen Instinkte verurteilenden Welt. Pamina und Tamino werden in diese heile Welt aufgenommen; ihr liebenswürdigeres Schattenpaar wird ausgeschlossen, darf aber immerhin im „Urwald“ weiterleben.

Wenn wir die ganze Zauberflöte als Sarastros inneres Schauspiel sehen, eröffnet sich vielleicht doch der Raum für neue, unserer Zeit entsprechende Regiekonzepte. Und vielleicht möchte ich die Zürcher Inszenierung, die ich nur vom Fernsehen her kenne, doch nochmals daraufhin ansehen? Ich kann mich auch kaum mehr noch daran erinnern.

* (ehem. Direktor des Opernhauses Zürich, der Staatsoper Wien u.a.)