Seit bald einer Woche sind wir in Kolengode, in der Naehe von Palakad, nahe beim Uebergang von Kerala zu Tamil Nadu. Die nicht nur angenehme erste Reinigungsphase der Ayurveda/Kur geht langsam zu Ende. Der Ort hier ist wunderbar. Nicht nur die Anlage der Gebaeude in einem riesigen gruenen Garten, sondern auch die Zuwendung, die wir hier geniessen, von den Aerzten, Masseusen und Masseuren bis zur taeglich den individuellen Gesundheitsbeduerfnissen angepassten, koestlichen Kueche.
Was dies fuer ein Privileg bedeutet, gerade in diesem Land, wo trotz wirtschaftlichen Aufschwungs noch zwei Drittel der Menschen in grosser Armut leben, ist uns sehr bewusst. Natuerlich tragen die hohen Preise, die wir hier zahlen, zur Beschaeftigung vieler Menschen bei. Dass der Trickle-Down-Effekt - das Ankommen des geschaffenen Mehrwerts bei den aermsten Schichten - in Indien noch ueberhaupt nicht im allgemein erwarteten Mass geschieht, ist eine Tatsache, die wohl auch fuer diesen Ort ztrifft, der durch eine florierende Hotelgruppe betrieben wird.
Bei der Lektuere der Zeitungen und im Gespraech mit Menschen wird klar, dass die groesste Wende durch eine bessere Schulbildung auf der alleruntersten Stufe - beim einfachen Lesen und Schreiben - bewirkt werden koennte. Wenn Menschen lernen, sich auszudruecken, wird auch der Druck von unten in Richtung einer gerechteren Verteilung des Wohlstands staerker werden.
Wie sich ein Teil der etablierten Schicht gegen diese Entwicklung wehrt, wurde uns schon beim Zwischenaufenthalt in Dubai - auf dem Flug nach Cochin - klar. Ein in der Schweiz niedergelassener Inder foerdert Schulen fuer die Aermsten in Andra Pradesh, einem Staat Zentralindiens. Er hat damit viel erreicht. 2000 Schueler werden zurzeit in zwei Schulen ausgebildet; die ersten haben die Reife fuers College erreicht. Nach einem Besuch der staatlichen Inspektorin war im Gaestebuch zu lesen: Ich bin enttaeuscht, dass die Kinder hier in Englisch unterrichtet werden. Die verduzte Schulleitung fragte nach, ob sie dies ernst meine und was sie den ihren eigenen Kindern wuensche. Ja, meine Kinder, keine Frage - aber diese? Wer soll den dann unsere Toiletten putzen?
Dies zum Stand der klassenfreien Gesellschaft, die schon Marx und seither viele anderen traeumten. Dazu passt gut, dass ich mir fuer die drei Wochen an diesem privilegierten Ort Ernst Blochs "Das Prinzip Hoffnung" vorgenommen habe. Es geht um die Hoffnung - die Realisierung des Noch-Nicht-Bewussten, des Noch-Nicht-Gewordenen - die wir unbewusst in uns Tragen: Das hoechste vorstellbare Gut.
Schoen, die Vorstellung, dass wir im Unbewussten nicht nur Vergangenheit tragen, sondern auch die Antizipation des "Wohin" der Evolution. Vielleicht koennen wir sie tatsaechlich erst vernehmen - und erst recht umsetzen - wenn wir nicht mehr von den Gespenstern einer verletzten oder sonstwie verdraengten Vergangenheit getrieben werden, und uns deshalb angstfrei dem in uns Seienden zuwenden wollen, das uns zum neuen draengt.
Ich merke, dass mich die Lektuere inspiriert und auch zu neuen Inhalten anregt, die durch mich Form erhalten sollen. Die begonnene Reinigung und Erneuerung scheint nicht nur auf der koerperlichen Ebene stattzufinden.
Soweit fuer heute.