12. Januar 2008

> Multidimensionale Tempelrituale II (Fortsetzung)

Die langen, einsamen Wanderungen auf dem weiten Gelaende der Kaffe- und Gewuerzpflanzung, auf der wir uns noch immer aufhalten, sind inspirierend. Und da Elisabeth daran ist, von einer Darmgrippe zu genesen, habe ich Zeit und Gelegenheit meine Reflexionen zu notieren. Hier einige Nachklaenge zur gestrigen Notiz:

Wenn wir die hinduistische Goetterwelt von ihrem aeusseren Himmel abloesen und in unser Inneres hineinnehmen, entdecken wir, wie sie alle - Goettinnen und Goetter - in uns selbst wirksame Kraefte verkoerper; ob wir ihrer bewusst sind oder nicht. Lakshmi, zum Beispiel, die Goettin der Lebensfuelle, oder Ganesha, der alle Hindernisse ueberwindende Begleiter auf Reisen und anderen Unternehmungen, oder die Kuenste - Tanz und Musik - foerdernde Saraswati. Sie brauchen unsere Anerkennung und Wuerdigung, damit sie zu unseren Gunsten wirksam werden.

Glaeubige Hindus wissen beispielsweise, dass sich Lakshmi und die durch sie gespendete Lebensfuelle entziehen, wenn sie nicht gewuerdigt wird, aber auch, wenn sich der Glaeubige ihrer nicht als wuerdig empfindet - und erst recht, wenn er sie festhalten, sich ihrer bemaechtigen will. Unserem Ich geht es nicht anders in seinem Umgang mit seiner eigenen Lebensfuelle. Und wird der loewengestaltige Vishnu nicht mit Ehrerbietung und Zuwendung behandelt, so baut er sich zur bedrohlichen Gestalt auf; im Aeusseren, fuer den einfachen Hinduglaeubigen, oder im Innern, fuer den aufgeklaerten Menschen, der die ihrer mythischen Kraft beraubten und deshalb voreilig fuer tot erklaerten Goetter als Teil seines Wesens wiedergefunden hat.

Im Gegensatz zu den christlichen Gottesbildern haben die Goetter des hinduistischen
Pantheons durchaus ihre dunkeln, furchterregenden Gesichter. Dadurch geben sie uns die Chance der inneren Bewusstseinsentwicklung und -transformation, sofern wir es wagen, uns ihnen zuzuwenden und ihnen mit offenem Herzen zu begegnen. So lernen wir die Gesetze des Wandels kennen, wenn der gereizte, zum reissenden Tier gewordene Loewe seine machtvolle Sonnengestalt entfaltet, die uns ungeahnte Kraefte zu verleihen vermag. Oder wenn wir uns beherzt der alles Leben verschlingenden Kali anheim geben, die uns durch ihren bluttriefenden Schlund durch eine Nachtmeerfahrt fuehrt, um uns dann als die grosse Gebaererin alles Lebens, die grosse Mutter, neu in die Welt zu setzen. Wohl wird die christliche schwarze Madonna oft als Entsprechung der Kali angefuehrt. Mir ist allerdings keine Manifestation der schwarzen Himmelskoenigin bekannt, die eine lebensbedrohende, dunkle Seite zeigt.

Wer sich auf diese Nachtmeerfahrt einlaesst, darf dies nur aus einem furchtlosen, in seinem Urgrund tief verwurzelten Ich tun. Wer auf diesem Weg von Furcht oder Panik ueberwaeltigt wird, mag einer ungeheuerlichen Geisterfahrt entgegen gehen, von der laengst nicht alle ohne Schaden an Geist oder Seele zurueckgekehrt sind.