Der Regen rauscht, draussen im üppigen Grün der Natur. Hell plätschert das Wasser aus dem Überlauf der Dachtraufe. Der mehrstimmige Wasserklang dringt durch die teils zerbrochenen Scheiben des alten Gewächshauses, wo mir meine Freunde einen idyllischen Arbeitsplatz bereitet haben. Der Kuckuck ruft, wie wenn er dadurch den fälligen Frühsommer heraufbeschwören wollte.
Direkt vor mir sucht ein Schmetterling das Freie: Unermüdlich fliegt er gegen die Verglasung an, das Loch, durch das er hineingekommen ist, vielleicht um Schutz vor dem Regen zu suchen, immer wieder knapp verfehlend. Soll ich intervenieren, ihm den Weg in die Freiheit zeigen? Seine Flügel sind zerbrechlich. Also lasse ich es sein. Ich könnte ihn ja auch erschrecken, noch weiter von der Öffnung weg verscheuchen? Da, wie er aufzugeben scheint, und sich ermüdet in den Spalt zwischen dem alten, leeren Blumentopf fallen lässt, noch ein letztes Aufflackern seiner Energie – und weg ist er, durch eine Lücke zwischen den angelehnten Scherben des Fensters. – Eine Lektion im Geschehenlassen: Handeln? Zeuge sein? Ich lasse es stehen, für den Augenblick.
Heute Morgen war es viel klarer, eindringlicher: Ich hatte nach meiner gestrigen Ankunft den ersten Morgenspaziergang nach Cortona unternommen: ein idyllischer Weg durch die olivenbestandenen Abhänge und Quertäler, die das Haus meiner Gastgeber von der mittelalterlichen Stadt trennen; ein Wiedersehen mit vom letzten Jahr her vertrauten Gassen und Plätzen, ein Espresso macchiato in jeder der beiden Bars, wo man mich noch zu kennen scheint. Wiedererinnern, auch auf dem Weg zurück: Es ist, wie wenn die Wege hier auch nach innen führten; unvermittelte Einsichten hatten auch letztes Jahr die Arbeit an meinem Buch „Eine Welt oder keine“ immer wieder auf unerwartete Weise inspiriert.
Diesmal zieht es mich einfach hinein, in die Seinsverbindung. Es ist still, so still wie noch nie; und weit, weit, weit. Und doch nehme ich den Weg wahr, gehe leicht über die bewachsenen, teilweise glitschigfeuchten Steine. Gleichzeitig bin ich mit dieser ruhigen Tiefe verbunden, in einem regungslosen Glück. – Mir fällt auf, wie anders dies ist, gegenüber jenen Aufwallungen von Glücksgefühlen und Dankbarkeit, das Herz überlaufend – und bei entsprechenden Gelegenheiten auch der Zunge. Auch die Dankbarkeit ist still und tief. Alles Aufgeregte ist zur Ruhe gekommen.
In den letzten Tagen hatte mich die Einsicht bewegt, dass wir in der Begegnung mit dem Sein unsere duale Natur dem bild- und wortlosen Mysterium hingeben, das wir durch die Benennung nur weiter von unserer Wahrnehmung wegrücken. Das war es nun: diese Begegnung, zu der ich mit meinen Gedanken vielleicht eine Verbindung geschaffen hatte, auf der sie nun wiederum mich erreichte und berührte? Eine Begegnung, die schon immer auf mich gewartet hatte? Geduldig, bis ich dazu bereit sein würde?
Und jenes überquellende Glücksgefühl des Herzens, war es nicht auch real und bei seinem erstmaligen Auftauchen nicht ebenso neu? Frisch fühlte es sich an, wie nach dem Eintritt durch eine bisher verborgene Tür. Mit vielen Menschen habe ich die Erfahrung geteilt, ihnen erzählt, von der Entfaltung des Bewusstseins; dabei die Erfahrung immer mehr zu meiner Eigenen gemacht, sie in Besitz genommen als Errungenschaft auf meinem Weg. Ganz unbemerkt muss sich die Erkenntnis dabei verfestigt haben, zu einem subtilen Schleier, der mich von der Kontinuität des Seins trennte.
Dann, heute Morgen kam ein Neues, diese nicht bewusst gesuchte Erfahrung, inspiriert durch ein Interview zwischen dem Biologen Rupert Sheldrake und dem Philosophen Ken Wilber, auf das ich – durch Zu-Fall gestossen war. Die Wege sind wunderbar und scheinen noch immer wunderbarer zu werden, indem wir dieser Begegnung der dualen Natur mit dem einfältigen Mysterium Vertrauen schenken. Ich werde mich auch hüten, diese Einsicht als Errungenschaft zu verfestigen: wer weiss, ob es überhaupt Grenzen gibt in dieser immer neuen Öffnung zum Einen?
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